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KUNDEN-BIOGRAFIE DAS GLÜCKSKIND
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Der Senior von abc-digital war der gute alte Star aller meiner abc-Weinbücher. Ich schrieb nicht lange vor seinem Tod seine Lebensgeschichte auf. Vieles recherchiert, einiges gedichtet – Prosa also. Können Sie hier lesen oder lassen.

Das Glückskind.

Daß der Alte wirklich schon so alt war, hatte ich nie bemerkt. Obwohl die letzten Jahre nicht ganz spurlos an ihm vorübergegangen waren. Und nun diese Einladung zum 75. Ein langes gutes Leben. So wie ich ihn einschätzte, hatte er noch eine gute Zeit vor sich. Und obwohl wir schon seit vielen Jahren wieder miteinander zu tun hatten, wußte ich nur wenig von ihm. Ich hätte einiges dafür gegeben, einmal hinter diesen Charakter zu schauen, der mir so vertraut, aber auch so fremd war.

Gefeiert werden sollte in seinem Haus. Das war mir nur recht. Einmal mehr lange Spaziergänge, gute Gespräche und ein Wiedersehen, in dem nicht ich die Hauptrolle spielte, sondern 75 Jahre eines Lebens, wie es mancher gern geführt hätte.

2. Januar 2000. Der Tag des Alten kam und ich machte mich auf den Weg. Mit dem Zug, mit dem Bus und zu Fuß, wie es ein guter Brauch gewesen ist und noch lange bleiben soll. Warten wir ab, was uns die Zukunft bringen wird.

Noch im Zug studierte ich das Horoskop des Geburtstagskindes. "Achten Sie auf Fremde und Freunde gleichermaßen. Viele wollen Ihnen etwas Gutes, aber nur Sie können die Spreu vom Weizen trennen." Ich mußte lachen. Denn heute, so denke ich, werde ich nur Gutes über ihn zu hören bekommen. Vielleicht.

Am Haus angekommen, konnte ich mich durch die vielen Wagen vor dem Portal kaum hindurchwinden. Und noch mehr kamen, mehr als mir eigentlich lieb war. So würde ich an diesem Tag nicht viel von ihm selbst haben - aber ich würde viel über ihn hören können. Das wird mehr sein, als er jemals selbst über sich erzählen würde.

Dann die überraschende Nachricht - von einem Freund der Familie vorgelesen. „Liebe Gäste, ich freue mich sehr, daß Sie alle gekommen sind. Bitte entschuldigen Sie, daß ich noch nicht da bin, aufgrund der regen Beteiligung habe ich beschlossen, heute zwei Feste zu feiern. Eines im engsten Familienkreis und eines mit Ihnen. Nur so kann ich allen Wünschen entsprechen. Ich werde bald bei Ihnen sein."

Ich also gehörte nicht zum engsten Familienkreis. Nun gut, mir war es gleich. Unsere Beziehung würde davon nicht berührt werden. Im Gegenteil, ich war froh, seine Freunde kennenzulernen, Menschen, die er mochte.

Man war nicht schockiert in der großen Runde. Schließlich war das Buffet schon geöffnet, die Champagnerflaschen gleichermaßen, und man kannte sich - an Gesprächsstoff würde es nicht mangeln.

Eine schon etwas ältere Dame neben mir unterhielt sich mit einem jüngeren, äußerst gepflegten Mann. Sie war leicht indigniert:

"Typisch, sogar, wenn er nicht da ist, zieht er die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er muß doch immer im Mittelpunkt stehen."

"Nehmen Sie es ihm nicht übel. Er selber würde in solch einer Situation das Beste daraus machen. Schließlich kommt es immer auf die Einstellung an: Ist das Glas halbvoll oder ist es halbleer?“

 "Meines ist halb leer, mein Lieber", kicherte die Dame, "bitte kümmern Sie sich darum."

"Sofort, aber wir haben noch einige Sekunden Zeit. Nur mal ein Beispiel. Kennen Sie die Geschichte von seinem Flugzeugabsturz? Nein? Das war ein Ding.

Ein ganz normaler Flug - aber sein erster nach dem Kriege, wo er ja bei der Luftwaffe gedient hatte. Leider aber auch ein neues Flugzeug und der etwas ahnungslose Pilot hatte die Notfallausbildung noch nicht gemacht. Zu sechst im Flugzeug, der Alte sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung , äh, besser Flugrichtung, bei der Landung eine starke Böe, ein Aufschrei und dann wurde es dunkel um ihn.

Er wacht auf, neben der zerstörten Maschine, zwei Tote und er mit einer Rippenprellung davongekommen. So ein Mann hat mehrere Leben, sag ich Ihnen."

"Und was wollten Sie mir damit sagen, junger Mann?"

„Als normaler Mensch wäre man zunächst leicht depressiv geworden. Aber nein, er freut sich, daß er überlebt hat, daß ihm sein Leben noch einmal geschenkt wurde. So, jetzt hole ich Ihnen noch was zu trinken.“

Ein untersetzter Mensch, "Nabend, ich heiße Alfred", war zu den beiden gestoßen.

"Ja, er ist ein Glückskind. Zeit seines Lebens. Und wenn ich mir die große Runde hier anschaue, dann hat er heute noch Glück, so viele Freunde zu haben. Die anderen sind bestimmt nicht hier, muß ich mal dazu sagen. Er ging einem Streit eigentlich nicht aus dem Wege. Natürlich gibt es dann auch Niederlagen - aber die waren nie sein Thema. Die zweiflerischen Gedanken sind einfach nicht seine Welt."

Die ältere Dame verzog etwas den Mund "Ohne Zweifel“, sagte sie, "sonst hätte er es kaum so weit gebracht."

Inzwischen war ein neues Glas Champagner angekommen, mit dem jungen Mann am Stiel.

„Sehen Sie," sagt er zu der Dame, "Glück muß man haben. Ganz kurz noch eine kleine kräftige Geschichte über ihn. Sogar von Zahnschmerzen ließ er sich das Leben retten. Kennen Sie nicht? Im Krieg war es. Unser junger Alter bei der Luftwaffe. Er wird zu einem Flug eingeteilt - keine große Sache, nur etwas lebensgefährlich. Und was passiert? Der Mann bekommt Zahnschmerzen, seine Backe hatte es richtig dicke. Also fliegt er nicht mit und bleibt am Leben - die Kameraden kamen von diesem Flug nie wieder. "

Das Glückskind. Da war was dran. In einer der vielen stillen Stunden mit ihm hatte er mir selbst einmal erzählt, daß er glücklich war . Daß das Leben ihn immer gut geführt hätte. Daß er sich wie von einem Band gezogen fühlte, das ihn führte. Daß er nie hätte viel machen müssen, sondern immer nur auf sich vertrauen konnte. Nun, dachte ich, wenn das Glück war - dann steht uns das eigentlich allen offen, wenn vielleicht auch nicht mit diesen Erfolgen.

Ich drängelte mich an das reich gedeckte Buffet.

Der Alte war Thema. Warum auch nicht - schließlich hatte er uns hier zusammengeführt.

"Ein Landmensch, kein Stadtmensch. Ein Naturliebhaber, kein Technik-Freak. Sonnenuntergänge sind ihm wichtiger als Einkaufen gehen. Die Fütterung der Eichhörnchen geht allem anderen vor. Und die Sternenkonstellation scheint oft wichtiger als das Star-Sein in der Firma. Der liebe Gott von "In den Bergen" nannte man ihn schon scherz- und herzhaft." -

 "Stimmt. Ich glaube, unter den Hamburger Unternehmern war er einer der ersten und besten, die sich um die Umwelt kümmerten. Er hat schon mal einen ganze Park gespendet, der Gute. Ich hab es damals in der Zeitung gelesen. Oh, Langusten. Also, so schöne Exemplare habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen. Geschweige denn gegessen."

"Ich kenne ihn ja nun wirklich gut. So sparsam, daß seine Frau das Haushaltsgeld auf den Pfennig genau abrechnen mußte.“

"Wer die Nachkriegszeit miterlebt hat, weiß, warum!"

 "So dicke haben wir es nun auch nicht, höre ich ihn heute noch sagen und wenn es nur um irgendeine Kleinigkeit ging.“

"Nun, aber der Maßanzug ist Standard bei ihm."

"Ja, nur weil er auf den Deubel heraus keine Lust hat einzukaufen. Ein Schaufensterbummel mit ihm kann geschlagene acht Minuten dauern. Da ist dann aber Anprobe und Kauf und Bezahlung schon mit drin."

"Aber auch großzügig ist er, ohne Zweifel. Wenn es auf seine Hilfe wirklich ankommen sollte, kann man mit ihm rechnen.“

"Wir sprechen manchmal über ihn, also ob er schon nicht mehr leben würde."

"Richtig, wir sprechen jetzt mal über sein vergangenes Leben. Vergangenheit, Imperfekt, mein Lieber."

"Gut, daß er nicht da ist. Dann braucht man wenigstens nicht zu flüstern."

Ich machte mich von dannen. Ich hätte eigentlich lieber etwas zu seiner Lebensgeschichte gehört, die recht im Dunkeln lag. An einer Sitzgruppe hatte ich mehr Erfolg. Dort saßen vier Mitarbeiter seines Betriebes. Das Wort führte ein deutlich Älterer, der den Alten seit Jahrzehnten kennen mußte.

"Sein Vater war ja Postbeamter. Was in der Zeit eigentlich nicht viel galt. Aber doch war er etwas Besonderes. Denn sein Dienststelle war das Schiff. Er sorgte für die Organisation der Schiffspost, die die alte Welt mit der neuen verband. Auf diesen Schiffen fuhr der kleine Beamte unzählige Male hin und her und genoß sein Leben in einer nahezu luxuriösen Doppelkabine, die er mit seinem amerikanischen Kollegen teilte. Tagsüber machte er die Post, abends die Honneurs.

Der Alte wuchs damals in den 20er Jahren unter der Obhut seiner Mutter und seiner älteren Schwester auf. Dann kamen die Nazis an die Macht. Im Jungvolk fühlte er sich ziemlich wohl. Denn da ging es weniger um Politik als ums Wandern, Zelten und Kameradschaft. Natürlich wollte er Abitur machen. Im Krieg wurde dann ein Notabitur daraus, die Schule um viele Monat verkürzt."

"War er denn ein richtiger Soldat, Krieger - oder was hat er gemacht?"

"Zum Arbeitsdienst in Leck hat man ihn gezogen. Das ist ja noch heute ein Luftwaffenstützpunkt. Aus der Zeit hat er mir eine Story erzählt, da denkst Du, Du bist auf der Witzseite: Also Kompanie angetreten und die ganze Show. Der Alte dabei. Wer hat Abitur???? Ich. Ich. Ich. Du weiß ja, wie stolz man auf seine Meriten ist. Das aber genau war der Fehler. Denn damit war man automatisch qualifiziert zum Latrineputzen - aber von der intensivsten Art. So intensiv, daß die Kameraden beim Mittagessen den Saal verließen und unsere Putzer immer mehr als genug zum Essen hatten. So kann man natürlich auch überleben."

"Und wie ist er dann geendet? Als gut ernährter Latrinus?"

"Nein, nein, er wurde dann schon was Besseres. Weil sein Vater schon immer gern mit Radios bastelte, meldete er sich zur Luftwaffe. Dann ging es nach Frankfurt zur Grundausbildung, und er machte seinen Funker. Aber dann hatte er nach einer etwas langweiligen Zeit nichts anderes zu tun, als sich freiwillig zu einem Sonderkommando zu melden - der Mussolini-Befreier brauchte neue Leute."

 "Warum machte er denn sowas? Er hatte doch einen ruhigen Job und nichts auszustehen."

" Ich glaube, er wußte es selbst nicht so richtig. Aber es war die richtige Entscheidung. Denn seine Kameraden, die lieber blieben, wo sie waren, wurden dann bei Bodentruppen verheizt. Viele von ihnen haben nicht überlebt.

Ich sag euch, der Mann hatte schon immer das Gefühl für das Richtige. Am Ende des Krieges kam er natürlich nicht in Gefangenschaft. Er nicht. Durch halb Europa ist er nach Haus gelaufen, hat sich durchgeschlagen, für andere noch mitgedacht, wochenlang, immer mit dem notwendigem Quentchen Glück und dem guten Gefühl für die richtige Entscheidung.

Am 29. Mai dann zu Hause angekommen. Richtig festlich fein gemacht sitzt da die ganze Familie im Garten und feierte die Silberhochzeit seiner Eltern. Die haben ihn erst gar nicht erkannt, so abgerissen war. Und erwartet wurde er schon gar nicht. Schließlich durfte man im letzten Kriegsjahr nicht nach Hause schreiben. Aber die Eltern hatten an seinem Überlebensglück nie gezweifelt. Und sein Zuhause in Blankenese hat unter dem Bombenhagel, der die Hamburger traf, am wenigsten gelitten. Blankenese werden wir schonen, da wollen wir wohnen, haben sich die Alliierten gesagt."

"Hat er denn sein Abitur noch nachgemacht?"

"Aber klar doch. Es waren schwierige Zeiten. Da galt es Beziehungen zu haben, Verbindungen zu pflegen, Kohlenzügen aufzulauern, irgendwie durchzukommen, zu tauschen, Kohle gegen Butter,

"Ach, daher stammt das Wort Kohle für Geld," grinste einer der jungen Leute.

"Gute Idee. Zusammen mit seiner Schwester hat er sogar die Holzpfähle der Straßenschilder geklaut, um genug zum Feuern im Ofen zu haben. Und dann hat er studiert. Naturwissenschaft. Chemie interessierte ihn. Aber letztlich nur vier Semester lang. Denn sein Leben sollte sich nun von Grund an ändern.

Der Nachbar rief an. Ein Herr Bauer. Der junge Alte hatte schon Äpfel in Bauers Garten geklaut - das gehörte nach dem Krieg sozusagen zur Pflicht und Neigung. Wer so geschickt Äppel klaut, sagte sich der Albert Bauer, der hat noch mehr auf dem Kasten, den merk ich mir.

Und irgendwann rief er an: Ob der Chemiestudent sich nicht mal seinen Betrieb anschauen wollte. Eine Klischeeanstalt. Und der junge Mann machte sich so gründlich ein Bild, daß er sein Studium beendete und eine Lehre als Industriekaufmann in dem Betrieb begann - entgegen allen wohlmeinenden Ratschlägen. Natürlich letztlich auch mit dem Ziel, einmal Anstaltsleiter zu werden."

Die Runde lachte kräftig über den Witz. Auch der Champagner wurde nachgeschenkt.

"Der Betrieb machte sich und unser Lehrling auch. Er schaffte es in relativ kurzer Zeit, seine Ausbildung zu durchlaufen und nach oben zu kommen. Der Bauer war ein Mensch der alles besser wußte. Wie angenehm. Der kannte jede Maschine aus dem ff, seine Leute hatte er immer in Griff, wenn ihr versteht, was ich meine. Daß unser Alter mit dem überhaupt zu Rande gekommen ist, ist nur seinem Geschick zu verdanken.

Sagen wir es mal so: Eigentlich konnten die sich gar nicht so recht leiden. Die ergänzten sich nur gut - und das ist schließlich wichtiger. Wenn der Bauer zu Mittag oder zu Abend pünktlich wie die Sonnenuhr den Betrieb verließ, kam der Junior vom Außendienst zurück, um all das wieder gut zu machen, was schlecht gelaufen war.

Der Bauer war sozusagen der Alte vom Alten. Ordentlich und qualitätsbewußt ohne Ende - und das auch, wenn der Laden mal nicht gut lief.

Aber der Albert Bauer war nicht allein. Er hatte noch seinen Bruder Johannes als Gleichberechtigen im Betrieb. Johannes Bauer entdeckte die Werbeagenturen als neue Kunden. Und das war schon entscheidend. Zusammen haben die nach dem Krieg so viel Geld verdient, daß sie sich drei Schiffe anschaffen mußten, um das Geld wenigstens auf einigermaßen anständige Art zu behalten, statt es der Steuer in den Rachen zu werfen."

"Und ist der Alte dann nicht der Sohn geworden?" kam die Frage aus der Runde.

 "Ein Kapitel für sich. Denn vorher trennten sich die beiden Brüder. Gelinde gesagt eine Katastrophe. Denn nun galt es, ein neues Unternehmen aufzubauen. Der Johannes nahm das beste mit, das er kriegen konnte - gute Maschinen und gute Mitarbeiter. Unser Alter blieb bei seinem Mentor Albert Bauer. Und verlegte sich auf den Außendienst. Und die Mitarbeiter fanden sich nach einiger Zeit auch wieder ein. Denn Albert Bauer hatte Erfolg. Nicht zuletzt, weil sich unser Alter voll und ganz aufs Verkaufen konzentrierte. Dem war so leicht keiner gewachsen.

Natürlich war er auf dem Gebiet der Druckvorstufe und Produktion inzwischen zum absoluten Fachmann geworden. Aber das war ihm nicht genug. Also wurde er Dozent und lehrte an der Kunstschule Alsterdamm und an der Hamburger Werbefachschule. Und dort lernten all die zukünftigen Creativ- und Art-Directoren ihn persönlich kennen und schätzen. Wenn sie dann in die entscheidenden Positionen kamen, dann war ihr alter Dozent plötzlich ihr Fachmann fürs Produktive. Ein genialer Schachzug."

"Und wie kam er zu seinem Doppelnamen?"

"Die Familie hieß ja Lindner. Aber irgendwann mußte ja auch die Nachfolge geregelt werden. Wie soll es denn nun werden, fragte der Albert Bauer seinen Nachfolger. Der ließ sich was einfallen. Er ließ sich vom Albert Bauer adoptieren: Lindner-Bauer war nun sein Name."

Der alte Kollege erhob sich. "So, meine Lieben, das war es erst mal aus meiner Sicht. Ihr könnt ja noch ein wenig über ihn klatschen. Ich habe alles erzählt, was wichtig war. Und jetzt kümmere ich mich um mein leibliches Wohl."

Nahezu unbemerkt hatten sich zu unserer gesprächigen Runde noch zwei andere ältere Jahrgänge gesetzt. Bisher hatten sie sich zurückgehalten. Aber angeregt von den Geschichten und Geschichtchen kramten sie in ihren eigenen Erinnerungen hervor.

"Ja, der Erfolg war da. Ohne Zweifel. Und der Alte dachte nicht nur an die Firma, sondern auch an sich. Wer würde das nicht machen? Weißt du noch, als er sich dieses großartige Haus bauen ließ? Alles vom Feinsten und im Keller ein Schwimmbad, damit er immer schön fit war."

"Und der Albert Bauer: Was sind das bloß für Kosten, dieses Haus, so groß, so teuer, so unvernünftig. Der Alte verstand es, ihm klar zu machen, daß Erfolg seinen Preis hat. Da muß man repräsentieren, Achtung erwirtschaften, Kunden beeindrucken. Also ehrlich, ich glaube nicht, daß jemals ein Kunde dieses Haus betreten hat, wirklich."

Alle schmunzelten verständnisvoll.

"Ja, er war immer auf der Suche nach den Schätzen und Schätzchen. Kennst Du die Geschichte mit St. Peter-Ording?"

 "Ist das nicht dieser Wallfahrtsort?"

"Witzbold. Nein, ich meine das Nordseeheilbad. Sein Ziel war es, wie unser, dem chronischen Geldmangel abzuhelfen - oder das, was er dafür hielt. Und das mit einem Schatzsuchgerät. "

 "Und was für Schätze suchte er?"           

"Bernstein. Mit einem Bernsteinschatzsuchgerät."

"Und? Hat er was gefunden?"

"Nichts natürlich. Allenfalls seine Ruhe."

"Dafür lief es intern in der Firma gut. Ich sag Dir, der war auch empfindsam, empfänglich für die Schwingungen anderer Menschen."

"Uns hat er Weihnachtsgeschenke gemacht, für die hätte sich der Weihnachtsmann keine Zeit genommen."

"Sehe ich auch so. Vielleicht hat er aber auch nur eine gute Sekretärin gehabt. Wer weiß?"

"Er hat das geschafft, wofür die heute Managerseminare veranstalten: Wir-Gefühl."

"Und er mittendrin - aber irgendwie immer der Star."

"War er auch- ohne Zweifel,und doch einer von uns."

"Ja, die Zeit der Klischees. Was gedruckt wurde, war erhaben - und darum etwas Besonderes."

"Kannst Du Dich noch an die Feiern erinnern? Nach jedem guten Abschluß hat er eine Feier mit seinen Leuten durchgezogen, da blieb kein Auge trocken."

"Ich auch nicht, muß ich gestehen."

"Dann mal Prost."

Die Runde hatte sich vergrößert. Nicht alle hatten jetzt einen Sitzplatz, aber alle wollten etwas beisteuern.

Eine festlich gekleidete Kollegin: "Ich bekomme heute noch das Schreien, wenn ich an diese Feiern denke. Auf einem Schiff - einem Hadag-Dampfer. Also der Alte natürlich immer standesgemäß mit - nun ratet mal - mit Pudelmütze. Aber für alle. Die Frauen eine weiße, die Männer eine blaue. Also irgendwie sah man damit bescheuert aus. Und was machen die Frauen in so einer Situation?"

" Ich eine Pudelmütze? Nie! Ich war erst gestern beim Friseur. Und so hatten die Männer die Mützchen auf, und die Frauen waren leicht verschnupft. Der Alte hat nur noch gelacht."

Und nun redeten alle. Ich hatte genug Zeit zuzuhören, brauchte mir keine Gedanken zu machen.

"Seine erste Ehe? Mit 28. Kinder gab es ja keine. Das ging dann irgendwann auseinander. Warum? Warum geht eine Ehe auseinander. Da haben immer beide was mit zu tun. Der Alte sah sich um, und sie hing an ihren Pferden."

"Was ihn letztlich aber nicht daran hinderte, bis heute eine gute Beziehung zu ihr zu halten. Sie gießt sogar die Blumen während seines Urlaubs."

"Seine beste Zeit hatte er zweifellos in den 60ern."

"Als die Bauers starben, hat er alles geerbt."

"Auch das Haus in Innsbruck?"

"Auch das Haus in Innsbruck."

"Keine Kinder. Aber Neffen und Nichten. Für den Sonnabend, seinen Kartentag. Wie schon früher mit der Mutter. "

"Leider kann er nicht gut verlieren, da muß er sich doch arg zusammenreißen."

"Ski fahren - das war für ihn eine Art Meditation."

"Da hat er auch seine zweite Frau kennengelernt. So was Gutes hat er eigentlich gar nicht verdient. Die weiß, wie man lacht, kennt sich in Kunst aus und hat einen eigenen Verstand."

"Ich gönne ihm das. Und die beiden sind glücklich. Wer schafft das schon in heutiger Zeit."

" Ein toller Tänzer."

"Mit seiner ersten Frau hat er sogar Turniere getanzt. Lateinamerikanisch war seine Spezialität."

"Er liebt die Regelmäßigkeit, das Berechenbare. Regelmäßig in sein Haus in Innsbruck, regelmäßig in den Wintersport, regelmäßig nach Kreta."

"Wissen Sie, wie oft er schon auf Kreta war? Immer im selben Hotel, immer in dem gleich Bungalow, immer mit den gleichen Gastgebern. Ich glaube, siebzehn mal oder mehr. Da hat er die Leute die er kennt, die Landschaft, die er mag, das Wetter, das er will - und seine Frau ist auch noch dabei. Was will man mehr?"

"Ja, Ein treuer Mensch. Nicht nur im Sinne der Ehetreue. Sondern als Freund. Was soweit geht, daß er seine Freunde an ihren eigenen Hochzeitstag erinnert - ein Datum, das denen gelegentlich selber entfällt.

"Auch Sport regelmäßig. Ja, wenn er erst einmal was angefangen hat, dann zieht er das auch durch."

"Sogar Weintrinken regelmäßig."

 "Das ist auch so eine extreme Seite von ihm. Nicht die Menge, sondern die Art. Er hat ja seine Runde, am Sonnabend, der Frühschoppen, der eigentlich erst am Nachmittag beginnt. Den läßt er nur höchst ungern sausen. Sogar seine Urlaubsfahrten werden danach gelegt. Also Urlausabfahrt nach dem Frühschoppen und Wiederankunft vor dem Frühschoppen. Möglichst."

"Nicht nur ein Liebhaber von Natur und natürlichen Frauen, ans Herz gewachsen war ihm auch die Isabella."

"Noch eine Freundin?"

"Nein. Das was die Isabella von Borgward - ein tolles Coupe. Dagegen ist das, was man heute fährt, alles graue Ware. Wenn er jemals seine Bilder wegwerfen sollte, wette ich, das mit der Isabella, das behält er. Die Isabella war eigentlich nur eine so beglichene Honorarrechnung - ein silbergraues Coupé mit Abarth-Auspuff - gab es zu der Zeit etwas Besseres?  Heute fährt er ja einen vierradangetriebenen, also schneekettenfreien Mercedes - ohne Typenschild, damit man nicht merkt, daß es ein toller 300er ist."

 Irgendwie erschien mir das alles zu positiv. Hatte der Alte gar keine schlechten Seiten? Hinten in der Ecke sah ich jemanden, der ihn genau kennen mußte. Ich kannte die Dame von Besuchen in der Firma. So konnte ich sie ganz direkt ansprechen.

"Ich habe heute schon soviel über ihn gehört, jetzt würde ich auch mal Ihre Meinung zum Alten hören. Sie kennen ihn doch nun wirklich gut."

"Stimmt," sagte die alte Dame, "ich bin eine der wenigen, die er sogar in sein Haus gelassen hat. Ich kann Ihnen nur sagen: Ein wahrer Ordnungsfanatiker. Ein Apostel des Aufräumens. Das geht so weit, daß es ihm am liebsten ist, wenn der Kühlschrank leer ist - aufgeräumter geht es eben nicht. Ich schätze, er könnte sogar im Dunkeln Koffer packen. Er weiß genau, was wo liegt - ganz abgesehen davon, daß er sich natürlich auch nicht gern helfen läßt.

Seine Ehefrauen haben es nicht leicht gehabt. Bei der ersten noch kontrollierte er, ob sie Staub gewischt hat. Und als er allein lebte, war er Montags vom Wochenendputz so fertig, daß er mit niemanden konnte."

"Regt er sich denn über Kleinigkeiten so auf?"

"...und bleibt bei großen Problemen bewunderungswürdig ruhig. Wo ist das Problem, fragt er? Cool würde man heute sagen.

Dazu sparsam und großzügig zugleich. Lade mich doch mal zum Kaffee ein, habe ich zu ihm gesagt. Wieso, antwortete er, hast Du kein Geld?

Ja, das Glückskind. Und das Schicksal führt ihn immer wieder zurück an seine Orte. Die Schule seiner ersten Klasse steht heute noch, nicht weit vom Conventhaus.

Das Schöne war: Der Alte hatte nie viel Angst im Leben. Nicht, als ihm der erste Bypass verlegt wurde. Nicht im Krieg. Nicht nach dem Flugzeugabsturz. Er hatte immer das Gefühl: Es geht gut. Ein Schicksal, das ihm sogar eine Astrologin bestätigte - die Sterne stehen günstig."

"Ja, ist er denn gläubig?"

 "Ja, er glaubt. Aber nicht an die Kirche. Eher an die Vorsehung. Und an sich natürlich. Und bis heute fühlt er sich vom Glück begünstigt, allerdings auch ohne es herauszufordern. Er ging seinen Weg, blieb auf dem Teppich. Sein Credo war immer: Nicht einmal der größte Krösus kann sich mehr als einmal satt essen, kann sich mehr als entspannt zurücklegen, kann mehr als zufrieden sein. Und recht hat er."

Das war deutlich. Und einer Überlegung wert. Aber ich wollte noch mehr wissen. Und suchte mir Gesprächspartner, die ihn als Chef und Kollegen kannten. Einer dieser Jungen, die Ehrlichkeit für eine Tugend halten und entsprechend oft anecken. Aber ich wollte eine ehrliche Meinung.

Ich gesellte mich zu den beiden Kollegen aus dem 2. Stock.

"Ich muß jetzt mal fragen: Was zeichnet den Alten eigentlich als Unternehmensführer aus?"

Die beiden schauten mich fragend an, schmunzelten - und erzählten.

"Nun, laßt uns mal offen reden: Führung in dem Sinne fand wohl eigentlich nicht statt. Man mußte immer erst an seiner Sekretärin vorbei. Ich schätze mal, der hat 30% seiner Leute gar nicht gekannt. Aber das Papier hat er hinter ihnen aufgesammelt, so ordentlich war er. Er ließ die Leute machen - gut genug waren sie ja. Er ließ sich berichten, griff nur hier und dort ein. Der Mann für die Big Points, wenn Sie was vom Tennis verstehen."

            "Und wie sieht er die Zukunft des Unternehmens?"

Der Jüngere der beiden kannte den Alten schon ganz gut:

"Da läßt er keine Zweifel aufkommen: Es wird immer Bilder geben, sagt er. Es wird also auch immer Bildbearbeitung geben. Es wird immer Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit gefragt sein. Und es wird immer große Aufträge geben, die bewältigt werden müssen. Da hat er natürlich recht. Und darum arbeite ich für ihn und seine Firma."

Der Ältere ergänzte: "Er hat für das Unternehmen eigentlich immer das Richtige getan, Sogar die notwendigen Entlassungen hat er glücklich überstanden. Und darum ist die Firma, im Gegensatz zu vielen anderen, immer noch gesund."

"Eine seine herausragenden Fähigkeiten war es, bestimmte Fragen einfach auszusitzen - er hat mit der Entscheidung oft so lange gewartet, bis sich die Probleme von selbst erledigten."

"Das erinnert mich an einen Politiker."

"Genau. Er sorgte immer für gutes Personal, für klare Zuständigkeiten. Ein klassischer mittelständischer Inhaber. So in dem Sinne: Das ist mein Haus, mein Unternehmen, das sind meine Leute, und die müssen für mich arbeiten. Und jede Mark, die sie zu viel ausgeben, nehmen sie mir weg. Punkt"

Der Jüngere dachte an die Zeiten, als er angefangen hatte.

"Uns Kollegen ist er natürlich gelegentlich auf die Nerven gegangen. Ich möchte nicht wissen, wie viele schon über eine Kündigung nachgedacht haben. Aber die meisten und die Besten sind geblieben - und wenn es nur aus Vernunftgründen war. Wie jeder kreative Mensch konnte er eben gut mit anderen - auf Distanz, aber intensiv. In der direkten Konfrontation dagegen, da zieht er oft den Kürzeren. Aber das hat keiner ausgenutzt."

Der Ältere lachte: "Er hat die Dinge auf sich zukommen lassen. Gut, manchmal hat er es auch übertrieben. Ich habe es ja selbst erlebt. Vor einer Zugfahrt zum Kunden saß er so lange am Schreibtisch, bis es zu spät war. Aber, oh wundersame Fügung, auch der Zug hatte Verspätung."

Der andere nickte. "Nicht zu vergessen: Er ist einer der ersten Unternehmensführer, die sich für die Umwelt engagiert haben. Wußten Sie, daß er Wandsbek einmal einen ganzen Park gespendet hat? Ein richtiger Bürger, der sehr wohl weiß, was in Hamburg gespielt wird. "

"Er hatte es am Anfang natürlich schwer, sich zu integrieren. Schließlich war er kein Fachmann - und das in einer Branche, wo Nichtfachleute kaum ein Bein auf die Erde bekommen. Da war sein Adoptivvater ein anderes Kaliber: Ein Fachmann, der jede Maschine besser beherrschte als die Kollegen. Die waren früher so kompetent, daß Springer seinen Nachwuchs bei denen ausbilden ließ."

Der jüngere winkte ab. "Wir sind doch heute schon froh, wenn wir genug Zeit für den eigenen Nachwuchs haben."

Der Ältere grinste. "Das muß ich auch noch mal los werden. Wichtig für ihn waren gute Beziehungen zu Frauen. Das fing bei seinen Sekretärinnen an. Die mußten schließlich nicht nur seine geschäftlichen Termine machen, sondern auch privat ihre schützende Hand über ihn halten. Ja, bei den Damen war er gut bekannt - ein richtiger Charmeur. Und ich rede hier nicht in Vergangenheitsform. Noch vor kurzem kam er lädiert in die Firma. Er hatte sich so lange nach zwei hübschen Mädchen umgeguckt, bis er mit dem Auto in die Hecke gerauscht ist."

"Na, na, nun bleib mal sachlich", protestierte der Jüngere, "in der großen Linie ist er fair und in Ordnung. Und in dieser Firma wird nicht gewürgt, getreten, zurückgetreten und geschlagen - nein, hier geht es ziemlich anständig zu."

Der Älter nickte: "Ich möchte es mal auf den Punkt bringe. Ich würde ihn nie bescheißen."

"Und das sagt bei Dir schon allerhand", lachte der Jüngere.

Ich konnte mich verabschieden. Ich war zufrieden. Der Alte hatte viele Freunde. Menschen, die ihn kannten und darum mochten.

Plötzlich hörte ich lauten Beifall. Der Alte war gekommen. Ich winkte ihm zu, aber er sah mich nicht, stand im Mittelpunkt einer Menschentraube und genoss sein Leben, das Glückskind.